KURZGESCHICHTEN, KRITZELEIEN & KARTOONS

Leben in den Zeiten des Corona (7)

Freunde des Einkaufsbummels,

wahrscheinlich wisst ihr es schon längst, aber sicher ist sicher: Vor einigen Tagen ist Leon Boden gestorben. Schauspieler, Regisseur, vor allem aber bekannt als Synchronsprecher. Boden war, neben vielen anderen Engagements als Synchronsprecher, fester Sprecher für zwei Schauspieler, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Jason Statham und Denzel Washington. Jason Statham, der Inbegriff der Coolness. Wie dämlich das Skript auch sein möge, wie unterirdisch die Dialoge, in nahezu jedem Film in dem er mitspielt, schafft er es mich zu überzeugen. Die lockerflockige Art, wie er seinen Opponenten vor den Latz haut, hier ein Tritt, dort ein Schlag, zwischendurch immer mal ein kesser Spruch, ein sympathisches, bisweilen auch irres Grinsen. Hier einen Sturz von einem Hochhaus überlebt, dort eine Explosion überstanden, über Drehbücher mag ich nörgeln, Jason jedoch schafft es kaum mich zu enttäuschen. Ganz anders dagegen Denzel (oder wie wir Freunde des Sven sagen: Svenzel) Washington. Er kann ja nichts dafür, aber wenn er in einem Film mitspielt, habe ich immer die Vermutung, dass alle anderen afroamerikanischen Schauspieler entweder gerade keine Zeit oder überzogene Gehaltsvorstellungen hatten. Auch wenn er in vielen guten Filmen mitgespielt hat, Svenzel Washington wird für mich immer der Aushilfsafroamerikaner bleiben. Ich kann gar nicht genau erklären warum, aber er löst in mir meist Mitleid aus und wenn ich dann doch mal einen Film mit ihm kucke, stelle ich mir an seiner statt lieber Samuel L. Jackson, Forest Whitaker oder auch mal Laurence Fishburne vor. Um nicht als Rassist zu gelten, könnte ich mir natürlich auch mal Woody Harrelson, Michael Rapaport oder Jason Statham statt Denzel Washington vorstellen, was aber schwierig ist, wenn Svenzel gerade den Gründer des Black Consciousness Movement oder Malcolm X oder einen im amerikanischen Bürgerkrieg kämpfenden Schwarzen mimt. Immerhin hat Svenzel, auch wenn ihm meine Gunst fehlt (welche natürlich schwerer wiegt als jegliche mit Metallic Goldlack besprühte Knetmasse zum in die Vitrine stellen), auch den ein oder anderen Orzeł, Jussi, Oscar und Golden Globe Award gewonnen. Leon Boden dagegen hat nie einen Oscar gewonnen, nicht mal eine Lola und auch nicht den Deutschen Synchronpreis. Dafür meine Gunst. Nicht meine Gunst gewonnen haben, neben Svenzel Washington, mal wieder die Bewohner meines Heimatbezirkes Prenzlauer Berg. Am vergangenen Samstag, an dem es laut Presse nicht, oder zumindest nicht ausreichend (Wovon auch? Kurzarbeitergeld?) den erwünschten Ansturm auf die Einzelhändler gab, brachte ich mein Fahrrad zur Reparatur in einen Fahrradladen nahe des Kollwitzplatzes, der Hochburg der verhinderten Häuslebauer und Distanzgestörten. Gut gefüllt war der Bürgersteig vor dem Geschäft, als ich ankam um mein Fahrrad abzugeben (begrenzte Kundenanzahl im Laden, allerdings merkwürdigerweise nicht abhängig vom Körperumfang der jeweiligen Kunden) und so vertrieb ich mir die Zeit, indem ich mir, nicht ganz freiwillig, von einem Mitwartenden seine verschwörungstheoretischen Auswürfe in die Ohren Husten ließ. Die reichsten 3% der Menschheit hätten das mit dem Corona um uns alle – das liegt ja wohl auf der Hand – und dann hatte er sich extra ein Zitat von Einstein zurecht gelegt – aber ich war schon längst dem Gespräch (Monolog) entschwunden weil: Zu den reichsten 3% der Weltbevölkerung gehört auch Trump und den halte ich einerseits für zu dumm und plump um an einer aufwendig geplanten Unterjochung der Weltbevölkerung mitzuarbeiten und andererseits ist Trump ein dermaßener Egomane, dass er sich sicherlich nicht von den anderen Superreichen zu einer demokratisch abgestimmten Unterjochungsstrategie drängen lässt. Weiterhin halte ich es nicht für wahrscheinlich, dass sich die Superreichen der Welt oder irgendein Staat oder eine Staatengemeinschaft auf einen Plan (Corona und Folgen) zur Unterjochung des kleinen Mannes (samt Frau, Mann, Kindern usw.) einigen könnte ohne vorher mit Trump Rücksprache zu halten. Der Irre hat immerhin Zugang zu einem nicht unerheblichen Waffenarsenal. Und Hektoliterweise Desinfektionsmittel. Also lenkte ich den Smalltalk auf das Vor-Corona Standard-Smalltalkthema Wetter, bis mich ein freundlicher Mitarbeiter in den Laden bat, mir mein Rad abnahm und mir sagte, ich könne das reparierte Gefährt noch heute, kurz vor Ladenschluss abholen.
Als ich um kurz vor 16 Uhr erneut vor dem Laden erscheine, ist das Trottoir davor wieder anständig mit Wartenden gespickt. Der Ladenmitarbeiter, der wie schon mittags, je einen Kunden in den Laden bittet, nachdem ein anderer Kunde zuvor den Laden verlassen hat, weist darauf hin, dass der Laden um 16 Uhr schließt. Natürlich haben alle Wartenden nur ganz einfache Wünsche. Einen neuen Schlauch oder hier nur die eine Schraube und die andere Schraube und überhaupt müsste mal, aber sie warteten ja schließlich auch schon mindestens sieben Minuten, könnten sie ja nichts dafür, dass der Laden jetzt gleich schließe. Der Mitarbeiter lässt sich breitschlagen und sagt, er und seine Kollegen täten ihr Bestes, dass alle die jetzt vor dem Laden stünden und wirklich nur kleine Anliegen hätten, heute noch rankämen, aber aufwändigere Reparaturen, die müssten leider auf den nächsten Werktag – ein Raunen geht durch die Schlange, immerhin habe man ja zum Teil schon bis zu acht Minuten hier draußen – und der ja leider auch auf die Kundschaft angewiesene Mann, lotst eine Kundin in den Laden, sichert uns Außenstehenden zu, sich unsere Wünsche zumindest alle anzuhören und sie im Idealfall sogar zu erfüllen und bittet uns, ob wir denn nicht vielleicht zumindest dafür Sorgen könnten, dass nicht noch mehr Kunden dazukämen. Natürlich haben sich etliche neue Kunden mit nur so ganz einfachen Anfragen, ganz spontan, vor dem Laden versammelt, einige warten schon seit mindestens 3 Minuten, als mich der Mitarbeiter mit Tränen in den Augen in den Laden winkt, damit ich mein repariertes Zweirad abholen kann.
Als ich den Laden verlasse, versucht der zermürbte Fahrradladenmitarbeiter eine Dame samt Kind am Betreten des Ladens zu hindern und erklärt ihr und ihrem Nachwuchs: „Der Laden habe seit einer Stunde geschlossen.“ „Aber er sei doch noch offen der Laden“ entgegnet die Dame „und der Theodor, der bräuchte doch ein neues Fahrrad. Kann doch jetzt kein großes Problem sein.“ Der Mitarbeiter schluckt und erklärt, dass der Laden aber eigentlich schon – die Dame meint: „Nur mal schauen wollten sie und der Theodor, nicht lange, keine Sorge, nur mal schauen.“ „Seit einer Stunde“ wimmert der nun am Boden liegende Mitarbeiter, während die Frau, in deren Wortschatz das Wörtchen Nein nicht zu existieren scheint und der Theodor über ihn hinweg steigen und den Laden betreten. „Seit über einer Stunde“ brülle ich DEM Thedodor und seiner Mutter hinterher. Der Junge zuckt immerhin kurz zusammen, von der Mutter keine Reaktion. Ich ärgere mich nicht zum ersten Mal in diesen Tagen, dass ich mir noch immer keine Teleskop-Fliegenklatsche zugelegt habe, mit der ich auch in Zeiten des Mindestabstandes die ein- oder andere Besinnungsschelle verteilen könnte. „Mindestanstand statt Mindestabstand“ murmele ich wiederholt vor mich hin, während ich mich ob der coronabedingten Gewichtszunahme gemächlich auf mein Rad hieve. Der noch immer auf dem Boden liegende Dienstleister sieht mich fragend aus seinen wässrigen Augen an. „Hast schon richtig verstanden“, sage ich „und überleg dir mal lieber, wer du im Leben sein möchtest. Jason Statham oder Svenzel Washington. Leon Boden würde sich schämen, Alter!“ Wieder sieht mich der Mann vom Boden fragend an, aber was soll ich sagen, ich weiß ja selbst nicht so genau, wie ich das meine.

Frage: Warum hat Leon Boden eigentlich fast ausschließlich  Afroamerikaner synchronisiert? Gibt es da vielleicht schon verlässliche Verschwörungstheorien?

Frage 2: Warum haben die Maden vom Fahrradladen eigentlich am Sonntag nicht geöffnet? Bei dem schönen Wetter. Vielleicht würden sich der Thorben-Lennart und seine Mutter heute mal ganz ein spontan einige Räder anschauen wollen. Oder auch nicht. Machen die einfach so ganz spontan. Völlig unabhängig von diesen „Öffnungszeiten“ von denen diese humanoiden Arbeitsdrohnen immer faseln.

Tippp: Sich eine Teleskop-Fliegenklatsche selber basteln.

Tippp 2: Das schöne Wetter im Keller genießen.

26. April 2020
Leben in den Zeiten des Corona (7)

Leben in den Zeiten des Corona (6)

Freunde des Gartenzwerges,
kaum bin ich mal kurz im Urlaub auf ner Konferenz aus Gründen nicht in Berlin, aber natürlich nur mit der Kernfamilie (ich stelle mir beim Wort Kernfamilie ja immer so verschieden große Apfelkerne vor, die im Griebsch schön familienmäßig zusammen Abkernen), da geht erst das Internet kaputt (jedenfalls da wo ich war (Brandenburg!)) (obwohl vielleicht ist das da auch der Normalzustand, wer weiß) und dann noch mein angeblich ach so schlaues Taschentelefon (vor dem Futschgehen hat es seine Schlauheit jedenfalls nicht gerettet) und ich vermute inzwischen sind wieder ein Haufen Sachen passiert, also in Sachen Corona natürlich nur. Weil andere Probleme wie Krieg, Hunger oder gar andere Krankheiten gibt es dank Corona zur Zeit ja überhaupt nicht (lassen einige Medien zumindest vermuten). Jedenfalls, worauf ich eigentlich hinaus wollte, eine Medien,- und dementsprechend auch coronafreie Zeit, kann ich nicht empfehlen. Man bekommt gar nichts mit und lechzt nach der Abstinenz (also jedenfalls ich) wie der letzte Junkie nach den neuesten Fakten, Statistiken und Zahlen. Nur über Corona natürlich. Weil Geflüchtete zum Beispiel, die müssen mit ihren Problemchen jetzt mal kurz warten, immerhin haben wir hier in Europa gerade unsere eigene Krise. Müssen die jetzt auch mal verstehen. Kann ja nicht immer nur um sie gehen. Auch der Frage warum am Führergeburtstag Demonstrationen in Dresden und Chemnitz genehmigt wurden, obwohl Demonstrationen, soweit mir bekannt, zur Zeit doch verboten sind, gehen wir irgendwann später mal nach. Jetzt hat Corona oberste Priorität. Wer jetzt nicht ausschließlich über Corona redet, gar den Sinn von bestimmten Maßnahmen zur langsameren Ausbreitung in Frage stellt, will das alle alten und überhaupt alle gefährdeten Menschen in Deutschland sterben. So jedenfalls liest sich das in einigen Artikeln und Kolumnen, die ich mir nach meiner Medienabstinenz zu Gemüte geführt habe.

Frage: Gibt es eigentlich eine deutsche Entsprechung für whataboutism? Wasistmitismus?

Tippp: In den Pausen zwischen der Coronahrungsaufnahme morgens, mittags und abends (Medienkonsum) mal gepflegt Home-Homing betreiben. Das ist der neue Trend!

Tippp 2: Sich alle im deutschsprachigen Raum bekannten regionalen Begriffe für Kerngehäuse tätowieren lassen

Tippp 3: Warten auf’n Bus in der Ard-Mediathek kucken. Spielt in Brandenburg und wird von Experten (also mir) mit dem Prädikat XGHÖLS@CK€UHRSV bewertet.

22. April 2020
Leben in den Zeiten des Corona (6)

Leben in den Zeiten des Corona (5)

Freunde des Klimawandels,
ich muss sagen, ich bin ziemlich verwirrt. Und nicht nur ich. Von vielen anderen Berliner Künstlern und anderen kleinteiligen Freischaffenden habe ich gehört, dass es Ihnen nicht anders geht als mir: Ein langjähriger, treuer, liebgewonnener Freund, er hat uns verlassen, wie es scheint. Ich nannte ihn Strichi, andere mögen ihn mit einem anderen Namen versehen haben, doch geht es nicht um Namen, es geht um Taten. Und Strichi, das kann ich euch sagen, Strichi tat was er tat, jeder Zeit ohne murren. Jedes Mal wenn ich und tausend andere systemirrelevante Kulturschaben unseren Kontostand abriefen, war er da. Die Zahlen änderten sich von Zeit zu Zeit, doch Strichi blieb, stand stets den Zahlen voran. Seit gestern jedoch, die Zahlen kommen mir bekannt vor, aber Strichi, wo ist Strichi? Ist Strichi etwa Opfer des Krokusnussvirus geworden? Hatte Strichi überhaupt eine Lunge? Hinterlässt er Mann und Kinder? Hat er sich in letzter Zeit im Ausland aufgehalten? Ist vielleicht nicht tot sondern nur im Heimbüro? Wie wenig ich doch über Strichi weiß. Sicherheitshalber verschütte ich einen Schluck Desinfektionsmittel (Trankopfer) auf dem Boden, auf dem meine Tochter ausrutscht und schrecklich weint. Als ich ihr verrate, dass es heute Spaghetti Coronara als Heimschulspeisung gibt, bessert sich ihre Laune. Meine Laune dagegen wird heute wohl nicht mehr besser, auch wenn mein Kontostand ausgeglichen ist. Strichi, er fehlt.

2. April 2020
Leben in den Zeiten des Corona (5)